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49. Der Obermagieschreiber
Geschenk

Der Tag nach dem Großen Dunkelzauber war der Tag des Mittwinterfests. Jenna stand im Ballsaal des Palastes am Fenster und sah zu, wie der Schnee, der in dichten Flocken vom Himmel fiel, den Rasen bedeckte, die kahlen Äste der Bäume schmückte und alle Spuren des Dunkelfelds auslöschte. Das war wunderschön.

An diesem Abend wollte Jenna ein Mittwinter-Festmahl geben. Sie wollte alle Spuren der Gespenster im Palast tilgen und war zu dem Schluss gekommen, dass sich dies am besten bewerkstelligen ließ, wenn sie alle, die sie gern hatte, zu sich einlud. Silas, Sarah und Maxie waren bereits von den Anwanden herübergekommen. Nach einem tränenreichen – jedenfalls vonseiten Sarahs – Wiedersehen zwischen Ethel und Sarah, halfen sie Jenna, den Ballsaal für den Abend vorzubereiten. »Es gibt noch viel zu tun«, sagte Jenna.

Silas schmunzelte. »Dasselbe sagt auch deine Mutter immer.«

Der Vormittag schritt voran. Immer mehr Schnee häufte sich draußen vor den hohen Fenstern, während der Ballsaal mit Stechpalmen und Efeu, roten Bändern, großen silbernen Kerzenleuchtern und einem ganzen Karton Luftschlangen, den Silas eigentlich für Jennas und Septimus’ Geburtstag organisiert hatte, geschmückt wurde.

Am anderen Ende der Zaubererallee war die Wahl des neuen Obermagieschreibers im Gang.

Am vorigen Nachmittag hatte Marcia alle Schreiber im Manuskriptorium versammelt. In einer feierlichen Zeremonie hatte sie in der Hermetischen Kammer den traditionellen Emaille-Topf auf den Tisch gestellt, und dann war nacheinander jeder Schreiber hereingekommen und hatte seinen Federhalter in den Topf gelegt. Der Topf war in der Hermetischen Kammer stehen gelassen worden, und Marcia hatte im Manuskriptorium eine unbequeme Nacht verbracht und den Eingang zur Kammer bewacht.

Nun wurde es Zeit für die Entscheidung. Alle Schreiber waren versammelt, die Roben frisch gewaschen, die Haare gekämmt. Im Gänsemarsch marschierten sie in das schwach erleuchtete Manuskriptorium und tauschten dabei fragende Blicke aus, wer von ihnen wohl der nächste Obermagieschreiber werden würde. Partridge hatte Wetten angenommen, doch ein klarer Favorit hatte sich nicht abgezeichnet.

Ein kleiner, schön gemusterter Teppich lag auf dem Fußboden, und Marcia forderte die Schreiber auf, sich darum herum zu versammeln. Die Älteren blickten einander verwirrt an – die letzte Wahl war ohne Teppich vonstatten gegangen.

Marcia hielt eine kurze Ansprache. In wohlgesetzten Worten, denen die Schreiber andächtig lauschten, erinnerte sie an Jillie Djinn und machte dann eine überraschende Ankündigung.

»Schreiber. Schwere Tage liegen hinter uns. Die meisten haben den Sturm überstanden, einige jedoch nicht. Unsere Gedanken sind bei all denen, die einen lieben Menschen verloren haben.«

Mitfühlende Blicke flogen zu Schreibern, deren Verwandte oder Freunde noch als vermisst galten. Marcia schwieg einen Moment, ehe sie fortfuhr.

»Gleichwohl glaube ich, dass dies alles auch sein Gutes hat. Seit dem Großen Umkehrzauber gestern haben wir im Zaubererturm viele hartnäckige schwarzmagische Nester verschwinden sehen, und ich denke, dass dasselbe auch hier geschehen wird. Wir haben, so hoffe ich, unsere Magie endlich wieder in ein Gleichgewicht mit den Dunkelkräften gebracht.«

Marcia machte eine Pause, als kurzer Beifall aufbrandete.

Dann sprach sie weiter. »Bei meiner Suche nach einem Weg, wie man das Dunkelfeld besiegen kann, habe ich in den letzen Tagen im Zaubererturm einige wichtige Entdeckungen gemacht. Eine davon betrifft uns, die wir heute hier versammelt sind. Meiner Ansicht nach ist es bei der Wahl des Obermagieschreibers in jüngerer Zeit nicht immer mit rechten Dingen zugegangen. Und ich glaube, auch den Grund dafür zu kennen. Im Lauf der Jahre ist das Manuskriptorium häufig mit schwarzer Magie in Berührung gekommen, und ich vermute, dass die Wahl dadurch in Mitleidenschaft gezogen wurde. Nun, da wieder alles so ist, wie es sein sollte, erwarte ich, dass die Wahl wieder in ihrer ursprünglichen Form erfolgt und zu einem korrekten Ergebnis führt.«

Die Schreiber sahen einander an. Was meinte Marcia damit?

Marcia ließ ihre Worte eine Weile wirken, dann rief sie laut, um das Gemurmel zu übertönen: »Würde bitte der jüngste Schreiber vortreten?«

Romilly Badger wurde knallrot, als Partridge und Foxy sie nach vorn schoben.

»Nun mach schon«, flüsterte Partridge. »Sie wird dich schon nicht auffressen.«

»Romilly Badger«, fuhr Marcia in sehr dienstlichem Ton fort. »Ich fordere Sie als jüngste Schreiberin auf, in die Hermetische Kammer zu gehen und den Topf zu holen.«

Ein Raunen ging durch den Raum. Normalerweise sollte der jüngste Schreiber den Federhalter holen, der auf dem Tisch lag, nicht den Topf.

»So lauten die ursprünglichen Worte, wie sie in der Vernichtung der Dunkelmächte niedergelegt sind«, erklärte Marcia den Schreibern. »Und wenn, was ich hoffe, die Wahl wieder in ihrer ursprünglichen Form erfolgt, dann wird nur ein Federhalter in dem Topf liegen, und die anderen werden auf dem Tisch verstreut sein. Der Federhalter im Topf wird Ihrem nächsten Obermagieschreiber gehören. Sollte allerdings nur ein Federhalter auf dem Tisch liegen und die übrigen im Topf, dann müssen wir diese Wahl selbstverständlich anerkennen, wie wir sie auch in der Vergangenheit anerkannt haben, obwohl ich persönlich dieses Verfahren für mangelhaft halte. Sind alle einverstanden?«

Ein allgemeines Gemurmel folgte und nach einer kurzen Diskussion stimmten alle zu.

»Also, Romilly«, sagte Marcia, »wenn nur ein Federhalter auf dem Tisch liegt, bringen Sie ihn heraus. Wenn viele dort liegen, bringen Sie den Topf. Verstanden?«

Romilly nickte.

Marcia fuhr mit den vorgeschriebenen Worten fort: »Romilly Badger, ich fordere Sie nun auf, zur Tat zu schreiten, damit der neue Obermagieschreiber in rechtmäßiger und ordnungsgemäßer Form gewählt werden kann. Übernehmen Sie die Aufgabe? Ja oder nein?«

»Ja«, wisperte Romilly.

»Dann gehen Sie in die Kammer, Schreiberin. Seien Sie redlich und trödeln Sie nicht.«

Romilly ging verlegen in den Gang mit den sieben Biegungen. Nach einiger Zeit, die den Anwesenden wie eine Stunde vorkam, in Wirklichkeit aber keine Minute dauerte, hörte man ihre Schritte durch den Gang zurückkommen. Ein Beifallssturm empfing sie, als sie mit dem Topf in den Händen erschien.

Marcia strahlte. Sie hatte ihre Bemerkungen über die Wahl schon bereut, da sie befürchtete, dass der neue Obermagieschreiber nun keine unumschränkte Autorität genießen würde, falls es bei dem alten Verfahren bleiben würde. Nun aber war alles gut. Die Wahl war wieder nach dem korrekten Verfahren erfolgt, und Romilly brauchte jetzt nur noch den Federhalter aus dem Topf zu nehmen.

»Schreiberin Romilly, stellen Sie den Topf auf den Teppich«, sagte Marcia.

Mit zitternden Händen setzte Romilly den Topf ab. Er stand aufrecht da, das alte dunkelblaue Email angefressen und stellenweise abgeplatzt.

»Schreiberin Romilly, fassen Sie in den Topf und nehmen Sie den Federhalter heraus.«

Romilly holte tief Luft. Eigentlich wollte sie die Hand nicht in den Topf stecken – sie musste daran denken, dass große, behaarte Spinnen darin lauern könnten –, aber tapfer griff sie in das kalte, dunkle Gefäß.

»Wie viele Federhalter liegen darin?«, flüsterte Marcia.

»Einer«, flüsterte Romilly zurück.

Marcia atmete erleichtert auf. Der Topf hatte funktioniert.

»Schreiberin Romilly, nehmen Sie den Federhalter heraus und zeigen Sie ihn den Schreibern.«

Romilly brachte einen schönen schwarzen Onyx-Federhalter mit einer schnörkeligen jadegrünen Einlage zum Vorschein.

»Schreiberin Romilly, lesen Sie den Namen vor, der auf dem Federhalter steht.«

Romilly sah sich den Federhalter an. Die Schnörkel machten es sehr schwierig, den Namen zu entziffern.

»Eine Kerze, bitte«, sagte Marcia.

Partridge nahm die Kerze, die gebracht wurde, und hielt sie so, dass Romilly die Buchstaben lesen konnte. Foxy sah den Federhalter jetzt zum ersten Mal deutlich, und das Blut wich aus seinem Gesicht. Gleich darauf gab es einen dumpfen Schlag. Foxy war in Ohnmacht gefallen.

Marcia bekam ein ungutes Gefühl. Foxy hatte den Federhalter erkannt – der neue Obermagieschreiber konnte doch unmöglich Foxy sein, oder? Mit Sicherheit nicht.

Vom vorgeschriebenen Text abweichend, fragte Marcia in dringlichem Ton. »Romilly, wessen Federhalter ist es?«

»Hier steht...« Romilly kniff die Augen zusammen. »Ah ja, jetzt hab ich’s. Hier steht Beetle!«

Die Schreiber brachen in lauten Jubel aus.

Foxy hatte ein winziges Zimmer in einem schäbigen Teil der Anwanden, und er hatte Beetle, der sein Zimmer in Larrys Laden für tote Sprachen fristlos hatte räumen müssen, angeboten, bei ihm auf dem Fußboden zu schlafen, bis er eine neue Bleibe gefunden hätte.

Als Foxy hereinstürmte, rot im Gesicht, weil er die ganze Strecke vom Manuskriptorium hierhergerannt war, war Beetle gerade damit beschäftigt, eingebrannte Suppe vom Boden eines Topfes zu kratzen. Er hatte nicht gewusst, dass Suppe anbrennen konnte – zum Kochen gehörte doch mehr, als er gedacht hatte.

»Tag, Foxy«, sagte er ein wenig gedankenverloren. »Und? Wer ist der nächste Chef?«

»Duuuu!«, schrie Foxy.

»Ewe? Barnaby Ewe? Na ja, es hätte schlimmer kommen können. Ich glaube, ich habe deinen Topf geliefert. Tut mir aufrichtig leid.«

Foxy rannte zu dem kleinen Spülstein und riss Beetle den Topf aus den Händen. »Nein, du Blödmann – du bist es. Du! Beetle, du bist der neue Obermagieschreiber!«

»Foxy, lass die Witze«, erwiderte Beetle gereizt. »Gib den Topf her. Ich war gerade dabei, ihn sauber zu machen.«

»Lass doch den dämlichen Topf. Du bist es, Beetle. Dein Federhalter ist gezogen worden. Ehrlich, Beetle, ich schwöre es.«

Beetle starrte Foxy an, den tropfenden Topfkratzer in der Hand. »Aber das kann doch gar nicht sein. Wie soll er denn in den Topf gekommen sein?«

»Ich habe ihn reingelegt. Weißt du noch, dass du bei deiner Entlassung den Federhalter nicht mitnehmen wolltest? Nun, ich habe ihn aufbewahrt. Und genau deshalb habe ich ihn aufbewahrt. Es gibt keine Regel, die vorschreibt, dass man aktiver Schreiber sein muss, um in den Topf zu kommen. Ich habe extra nachgesehen. Wichtig ist nur, dass der Federhalter in den Topf kommt. Und dafür habe ich gesorgt. Ich habe ihn hineingelegt.«

Beetle war perplex. »Aber warum?«

»Weil du es verdient hast, Obermagieschreiber zu werden. Weil du der Beste bist, Beetle. Und weil du das Manuskriptorium gerettet hast. Du hast dein Leben dafür aufs Spiel gesetzt. Wer sonst könnte jetzt Chef werden? Keiner, Beetle. Keiner außer dir.«

Beetle schüttelte den Kopf. Solche Dinge passierten nicht.

»Komm mit, Beetle. Marcia hat mich geschickt, um dich zur Amtseinführung zu holen. Sie hat den Kryptischen Kodex dabei. Und die Bürosiegel. Alle warten auf dich. Mach schon.«

»Äh ...« Langsam dämmerte Beetle, dass Foxy die Wahrheit sprach. Er wurde sich bewusst, dass er gerade einen Wendepunkt erlebte, wie er nur selten vorkam. Sein Leben, so wie es noch vor ein paar Minuten gewesen war, hatte keine Ähnlichkeit mit seinem jetzigen Leben. Es war eine Drehung um hundertachtzig Grad. Er war überwältigt.

»Beetle ... geht es dir gut?« Foxy machte sich langsam Sorgen.

Doch da nickte Beetle, und eine Welle des Glücks schlug über ihm zusammen. »Ja, Foxy«, rief er, »mir geht es gut. Mir geht es hervorragend.«

Die Große Kälte hielt schnell Einzug. Es kam selten vor, dass sie schon am Tag des Mittwinterfestes so stark war, doch alle in der Burg begrüßten die weiße Decke, die letzte Spuren des Dunkelfelds unter sich begrub und die Burg wieder in einen magischen Ort verwandelte. Selbst diejenigen, die Angehörige oder Freunde verloren hatten – und das waren nicht wenige – hießen sie willkommen. Die Stille, die der Schnee brachte, passte zu ihrer Stimmung.

Als Septimus am Abend zum Palast ging, traf er Simon, der auch dorthin unterwegs war.

»Hallo«, sagte Septimus etwas verlegen. »Ohne Lucy?«

Simon lächelte zaghaft. »Sie kommt später nach. Sie holt noch ihre Eltern ab. Sie sind wohlauf, aber ihre Mom macht Theater.«

»Ah ja?«

Sie gingen durch das Palasttor und zum Palast hinauf. Das unbehagliche Schweigen zwischen ihnen brechend, sagte Septimus: »Ich wollte mich noch bei dir bedanken.«

Simon sah seinen Bruder an. »Wofür?«, fragte er verwirrt.

»Dafür, dass du mich gerettet hast. Im Fluss.«

»Ach so. Na ja, das war ich dir schuldig.«

»Ja ... äh ... und es tut mir leid, dass ich nicht auf dich gehört habe, was die paarigen Geheimformeln anging.«

Simon zuckte mit den Schultern. »Wieso hättest du das tun sollen? Es ist so viel geschehen. Mir tut es auch leid.«

»Ja, ich weiß.«

Simon sah Septimus an. »Dann sind wir also quitt?«, fragte er lächelnd.

»Ja.« Septimus erwiderte sein Lächeln.

Simon legte seinem Bruder den Arm um die Schultern – wobei ihm auffiel, dass der schon beinahe so groß war wie er selbst –, und gemeinsam setzten sie ihren Weg zum Palast fort, zwei Spuren und tiefe Fußstapfen im eisüberkrusteten Schnee hinterlassend.

In dieser Nacht erstrahlte der Ballsaal des Palastes in prachtvollem Lichterglanz, und zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren war er wieder voller Menschen. Selbst Milo, Jennas Vater, war da – wie jedes Jahr war er etwas verspätet zu ihrem Geburtstag von einer Reise zurückgekehrt. Und an den beiden Enden der Tafel – darauf hatte Jenna bestanden – saßen Sarah und Silas. Als sie frisch in den Palast eingezogen waren, hatten sie diese Plätze manchmal zum Spaß eingenommen, während Jenna verloren irgendwo dazwischen gesessen hatte, doch heute war die lange Tafel zwischen ihnen voll besetzt mit Menschen, die lachten und sich unterhielten.

An Sarahs Tischende saß Milo, dessen rotes und goldenes Seidengewand im Kerzenlicht schimmerte, während er sie mit Geschichten unterhielt, die er von seiner jüngsten Reise mitgebracht hatte. Milo gegenüber saß die Außergewöhnliche Zauberin, die selbstverständlich den Platz neben dem Obermagieschreiber hatte. Sarah hatte darauf bestanden, dass Jenna neben ihrem Vater saß, doch die Prinzessin unterhielt sich fast die ganze Zeit nur mit Septimus, der neben ihr saß, Beetle direkt gegenüber. Septimus sah über den Tisch zu seinem Freund, der in seiner neuen Amtstracht, die ihm ausgezeichnet stand, einen prächtigen Anblick bot. Anscheinend fühlte er sich bereits wohl in dem schweren dunkelblauen Seidengewand mit den goldverbrämten Ärmeln, dessen Farben an seine Admiralsjacke erinnerten, die er, wie Septimus bemerkte, noch darunter trug. Beetle sah so glücklich aus, wie ihn Septimus noch nie gesehen hatte – und er freute sich darüber.

Lautes Gelächter schallte von Silas’ Tischende herüber, wo Nicko mit Rupert, Maggie und Foxy saß. Nicko machte gerade Möwenschreie nach. In der Mitte der Tafel saßen Snorri und ihre Mutter und unterhielten sich leise, während Ullr neben ihnen lag und aufpasste. Von Zeit zu Zeit blickte Snorri missbilligend zu Nicko. Nicko schien es nicht zu bemerken.

Neben Septimus saß Simon. Simons Aufmerksamkeit wurde hauptsächlich von Lucy, Gringe und Mrs. Gringe in Anspruch genommen, die über die Hochzeit sprachen – oder vielmehr zuhörten, wie Lucy darüber sprach. Hin und wieder warf Simon einen Blick auf das Holzkästchen, das er auf dem Schoß hatte, und lächelte. Seine grünen Augen, zum ersten Mal seit vier Jahren ohne einen sorgenvollen Schatten, strahlten im Kerzenlicht. Auf dem Holzkästchen stand der Name »Spürnase«. Es war ein Dankeschön von Marcia, und es bedeutete Simon mehr als jedes andere Geschenk, das er jemals bekommen hatte.

Matt, Marcus, Igor und dessen neue Angestellte, Marissa, führten ein angeregtes Gespräch mit Wolfsjunge und Tante Zelda.

Jenna gab Septimus einen Stups. »Sieh dir Wolfsjunge an. Ohne seine langen Haare sieht er genauso aus wie Matt und Marcus, findest du nicht?«

»Matt und Marcus?«

»Die aus der Gruselgrotte. Sieh doch.«

»Nahezu identisch. Merkwürdig.«

»Und ihre Stimmen klingen auch gleich. Weißt du etwas über Wolfsjunges Familie, Sep? Weiß er selbst etwas?«

»Er hat nie mit mir darüber gesprochen. Bei der Jungarmee war das nicht üblich, Jenna. Ich hatte ja auch keine Ahnung, dass ich eine Familie hatte, bis ich eurer Bande zufällig begegnet bin.« Septimus grinste.

»War bestimmt ein ganz schöner Schock.« Jenna grinste zurück.

»Ja!« Septimus dachte nicht oft darüber nach, was aus ihm geworden wäre, wenn er nie erfahren hätte, wer er wirklich war. Jetzt aber, im Kreis seiner Familie und Freunde, befiel ihn so etwas wie Entsetzen bei dem Gedanken, wie anders sein Leben wohl verlaufen wäre, wenn Marcia ihn vor vier Jahren nicht im Schnee aufgelesen hätte. Er blickte zu Wolfsjunge und rief sich in Erinnerung, dass er seine Familie nie gefunden hatte – aber er musste doch eine haben, oder?

»Morgen werde ich um Einsicht in die Akten der Jungarmee bitten. Vielleicht steht da etwas über 409 drin. Man weiß nie.«

Jenna lächelte – ihr war gerade etwas eingefallen. Sie zog ein kleines Geschenk aus der Tasche. »Alles Gute zum Geburtstag, Sep. Es kommt etwas spät, aber wir waren in letzter Zeit einfach zu beschäftigt.«

»He, danke, Jenna. Ich habe auch etwas für dich. Alles Gute zum Geburtstag.«

»Oh, danke Sep, das ist aber schön.«

»Du hast es ja noch gar nicht gesehen.«

Jenna riss das Geschenkpapier auf, und zum Vorschein kam eine sehr kleine knallrosa Krone, geschmückt mit Glasperlen, rosa Pelzbesatz und baumelnden Bändern. Jenna lachte laut los.

»Die ist ja so was von albern, Septimus.« Sie setzte die Krone auf und band die rosa Bänder unter dem Kinn zusammen. »So, damit bin ich nun die Königin. Jetzt mach deins auf.«

Septimus riss das rote Papier auf und zog das Gragull-Gebiss hervor.

»Toll, Jenna!« Er steckte es in den Mund, und die beiden gelben Eckzähne schoben sich sauber über seine Unterlippe. Im Kerzenlicht sah er damit so echt aus, dass Marcia, als sie ihr Gespräch mit Beetle beendete und sich ihm zuwandte, um ihn etwas zu fragen, laut aufschrie.

Königin und Gragull brachten den restlichen Abend damit zu, vor den beiden höchsten Würdenträgern der Burg – der Außergewöhnlichen Zauberin und dem Obermagieschreiber – herumzualbern. Jenna war unbeschreiblich glücklich. Sie hatte ihren alten Septimus wieder und – das bewies erneutes Möwengeschrei mit einer anschließenden Lachsalve – auch ihren alten Nicko.

Aus dem Schatten sahen zufrieden zwei Geister zu.

»Danke, Septimus«, hatte Alther geantwortet, als er aufgefordert worden war, sich mit an den Tisch zu setzen. »Ich möchte lieber in aller Ruhe hier bei meiner Alice sitzen. Ihr Lebenden macht solchen Lärm.«

Und den machten sie. Die ganze Nacht hindurch.

Als die Sonne aufging, wurden die Fenster des Ballsaals aufgerissen. Die Festgäste kletterten hinaus in den Schnee und liefen zum Landungssteg des Palastes hinunter. Ein einsamer Geist sah sie herankommen und schlich sich auf das Händlerboot, das am Landungssteg lag, bereit zum Auslaufen, bevor die Große Kälte den Fluss zufrieren ließ. Der Geist Olaf Snorrelssens schwebte in die mit Kirschholz verkleidete Kabine hinunter, die er vor langer Zeit für seine Frau Alfrun gezimmert hatte. Er setzte sich und wartete auf seine Frau und seine Tochter, die, wie er wusste, bald kommen würden. Er lächelte. Endlich war er zu Hause.

Doch die Gäste waren nicht heruntergekommen, um Snorri und ihrer Mutter Lebwohl zu sagen, denn die beiden wollten erst am nächsten Tag abfahren. Sie waren gekommen, um von Jillie Djinn Abschied zu nehmen, die still und von Schnee bedeckt in ihrem Abschiedsboot lag, das nun den Wellen übergeben wurde, um von der Ebbe aufs Meer hinausgetragen zu werden.

Als sie zusahen, wie das Abschiedsboot, an dessen Flaggenmast ein prächtige Fahne aus blauer Seide wehte, den Fluss hinabtrieb, wandte sich Jenna Beetle zu.

»Du hoffst bestimmt«, sagte sie, »dass sie nie zurückkommt und im Manuskriptorium herumspukt.«

Der Obermagieschreiber grinste. »Vorerst habe ich meine Ruhe und meinen Frieden«, erwiderte er. »Du weißt ja, wo sie das nächste Jahr und einen Tag verbringen wird.«

Jenna kicherte. »Ach ja, natürlich – dort, wo sie zum Geist geworden ist. Marcia wird begeistert sein!«

Septimus Heap 06 - Darke
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